Peer Christian Stuwe bringt in seinen Arbeiten Eisenschrott, Abfallstücke aus der Metall verarbeitenden Industrie, Verpackungsmaterial, Wellpappen/Kartonagen mit deutlichen Spuren des Ge- und Verbrauchs und andere weggeworfene Dinge zur Sprache. Arme, povere Materialien, profanes Zeug, nutzlos, scheinbar ohne Wert. Die traditionellen Formen der bildenden Künste, Skulptur/Plastik, Malerei und die kostbaren Materialien, mit denen die Bildhauer früher einmal gearbeitet haben, Stein, Marmor, Bronze scheinen verabschiedet, bei Seite gesetzt. Doch ist das bei den Arbeiten des Bildhauers Peer Christian Stuwe gar nicht der Fall – die Materialien, mit denen er arbeitet, sind pover, gebraucht, Weggeworfenes. In der künstlerischen Sprache aber, in der die poveren Dinge sich uns mitteilen, vor unseren Augen erscheinen, bleiben Skulptur und Malerei, die vertrauten Kunstformen, auf wundersame, ästhetische Weise präsent: Ob Eisenschrott, Packmaterial oder sonst was – die Fundstücke sind gestaltet, inszeniert. Das Profane erscheint ambivalent, profan und ästhetisch.
Wenn ich mich nun dieser Kunst auf dem Hintergrund von Benjamins Gedanken einer Sprache der Dinge zuwende und mich verbal den Arbeiten von Peer Christian Stuwe annähere / anzunähern versuche, dann habe ich auch die Entgrenzung und damit den Wandel der Künste vor Augen, wie er sich seit Jahrzehnten allmählich vor unseren Augen vollzogen hat und weiter vollzieht. Den Weg der Entgrenzung, den die (bildenden) Künste nach dem Zweiten Weltkrieg genommen haben, zeichnet exemplarisch die Kasseler documenta. Die Stationen, die diesen Weg durch ein halbes Jahrhundert säumen, markieren die Klimax der Westkunst. Ein wesentliches Indiz des Wandels der Künste ist die Ablösung der geschlossenen Form durch offene, variable, künstlerische Formen, wie sie auch Stuwes Arbeiten kennzeichnen und auszeichnen.
Sind die Grenzen zwischen den einzelnen Künsten wie auch zwischen Kunst und Leben, Kunst und Alltag, zwischen Kunst und Design, Technik und Wissenschaft unscharf geworden, so zeichnet sich im Zuge dieser Entgrenzung eine neue Bewertung und Bedeutung des Materials der Kunst ab. Die traditionelle, letztlich auf Platon zurückgehende, Entgegensetzung von (schöner) Form und (hässlicher) Materie ist obsolet geworden. Entgrenzung, Öffnung und Differenzierung der künstlerischen Form, Neubewertung des Materials, Vorrang ‚armer Materialien’ erfordern Kategorien der Beschreibung, die jenseits der ästhetischen Kategorien des Schönen und Hässlichen in ihrem traditionellen Wertverständnis liegen. Als Kategorien zur Beschreibung haben sich Stichworte wie Installation, Inszenierung, Performance, Medialisierung herauskristallisiert. Kategoriale Verortungen wie: Temporalisierung, Prozessualität, Formveränderung, Spurensicherung erlauben eine verbale Annäherung an zeitgenössische, künstlerische Arbeiten durch eine am Material orientierte Beschreibung.
Ornamentale skulpturale Formen aus Schrott und die Farbe des Eisens „Eisenzeit“ in den Flottmann-Hallen Herne ist eine Installation, wie sie im Buche steht, ein Raum greifendes und den Raum definierendes künstlerisches Arrangement aus Objekten und Wandgestaltung. „Eisenzeit“ zeigt Fundstücke aus Eisenschrott, die von Peer Christian Stuwe zu Kunstgegenständen, Skulpturen von unterschiedlicher Größe, so zwischen 40 cm und 220 cm hoch, zusammengestellt, zusammengeschweißt worden sind. Die Installation wird bestimmt von Determinanten des Volumens, von den Größenordnungen und Proportionen der Skulpturen. Aus dem Verhältnis zum Raum bezieht die Arbeit ihre Wirkung. Die Lichteinwirkung lässt Sehbarrieren entstehen, die den Blick des Betrachters zum Stolpern und so zum Aufmerken auf den Umraum, die Flottmannhalle, bringen.
Es ist eine Inszenierung, die Beziehungen zwischen den oftmals bizarren, auch skurrilen Assemblagen/Formen der Dinge aus Eisen, emphatisch oder auch ironisch, herstellt. Die zusammengeschweißten Fundstücke aus Eisenschrott erscheinen ornamental gegliedert und die einzelnen Teile optisch gegeneinander abgesetzt. Es sind abstrakte Gebilde, die manchmal, wenn man es weiß, erahnen lassen, dass wildwüchsige Pflanzen, die im Garten vor seinem Atelier emporschießen, den Bildhauer beim Zusammenfügen der Schrottteile inspiriert haben – „Pflanze empor“ oder „Blüte“ sind dann auch die Titel solcher Skulpturen. (Abb. 1) Die ornamentalen Konfigurationen/Konstellationen der Eisenskulpturen formieren sich je nach dem Standpunkt und somit dem Blickpunkt des Betrachters immer neu und anders, irgendwie durcheinander, chaotisch oder aber geordnet, in Reih und Glied – Chaos und Ordnung. (Abb. 2)
Die „Wandgestaltung“ der Installation „Eisenzeit“ wird in den Flottmann-Hallen durch das „Turin-Projekt“ bestritten. Peer Christian Stuwe setzt hier eine besondere, eine ‚Wickeltechnik’ ein. Während des Arbeitsprozesses, während der Phasen des Ausprobierens, des Einwickelns der Eisenskulpturen in den wasserdurchtränkten Stoff sind Materialbilder entstanden, die unterschiedliche/differente Ansichten bieten. Unter den Händen des Bildhauers wird eine dreidimensionale Form in die Fläche, Skulptur in Malerei überführt. Die Form der Skulpturen kommt im Abdruck zum Vorschein; sie erscheint auf der Leinwand spiegelverkehrt, als skulpturale Form noch erkennbar oder aber die Form ist während des Arbeitsprozesses unkenntlich geworden, gänzlich verwischt, transformiert ins Malerische. Die Farbfelder zeigen die besondere Tonalität, den eigenartigen Farbton des Eisenpigments. Die Fundstücke aus Eisenschrott, die zu skulpturalen Objekten zusammengeschweißt wurden, kommen so in der malerischen Ästhetik ihrer Materialität zur Sprache. (Abb. 3 u. 4)
Während wir, die BetrachterInnen in der Raum greifenden Installation der Eisenskulpturen herumspazieren können, nehmen wir die Arbeiten des „Turin-Projektes“ als Bilder wahr. Auch diese objets trouvés, jene auf einem Schrottplatz herumliegenden und vom Künstler aufgehobenen und gesammelten Eisenstücke affizieren, bearbeitet, transformiert in Materialbilder, als kunstsprachliche Mitteilungen ihrer Materialität die Wahrnehmung.
Der Titel „DasTurin-Projekt“ spielt natürlich auf das Turiner Grabtuch an, jene kostbare Reliquie der Christenheit, die nur in den Heiligen Jahren den Gläubigen präsentiert wird. 2010 wird es das nächste Mal der Fall sein. Der italienische Photograph Secondo Pia hatte 1898 die ersten photographischen Aufnahmen von dem Grabtuch gemacht. Als er die Platte entwickelte, zeichnete sich plötzlich das Antlitz Jesu Christi mit großer Klarheit auf der Platte ab. Das Turiner Grabtuch ist ein photographisches Negativ. (s. Abb. S. ###) Wegen des, freilich unterschiedlichen Verfahrens, Unsichtbares sichtbar werden zu lassen, sei ihm eingefallen, mit dem Projekt seiner Materialbilder der (spiegelverkehrten) Negativabdrücke von Eisenskulpturen auf das Turiner Grabtuch anzuspielen, so sagt augenzwinkernd Peer Christian Stuwe – das Profane in der Perspektive des Heiligen?